Aktuellesechtwert im Interview mit Jannis Stadtmann

24. Januar 2021by echtwert0

 

Jannis Stadtmann ist Tischler, Ingenieur und selbsternannter Ideenfinder und Problemlöser. Seit Beginn inspiriert er das echtwert Netzwerk. Gemeinsam mit ihm haben wir im Herbst 2020 das echtwert-Spendenschwein auf den Weg gebracht. Auf seiner Visitenkarte steht „Die Zukunft gehört den Mutigen“. Jannis, was genau meinst du damit?

 

Zunächst ist es sehr spannend, zu sehen, dass der Spruch auf der Visitenkarte in Erinnerung geblieben ist. Das freut mich wirklich sehr! Und eigentlich ist er vor allem darauf ausgelegt bei einem Kennenlernen das „Eis zu brechen“ um gleich in ein spannendes Gespräch zu starten. Ich denke, jede Person beschäftigt sich mehr oder weniger bewusst mit dem Morgen. Oft gibt es bereits konkrete Vorstellungen von einer idealen oder wünschenswerten Zukunft in Form von Träumen, Zielen oder Plänen.

Und da fängt es meistens schon an schwierig zu werden, gerade in Bezug auf die Frage: „Lässt sich Zukunft bewusst gestalten oder passiert sie zufällig?“. Diese Frage lässt sich ausführlich diskutieren. Aus meiner Sicht hat „Zukunft gestalten“ vor allem etwas damit zu tun, bewusste Entscheidungen zu treffen. Auch wenn man gar nicht vorhersehen kann, ob die Zukunft durch die Entscheidungen wirklich besser, erfolgreicher, zufriedener oder glücklicher wird. Somit hat es mit einer gewissen Portion Mut zu tun, Beschlüsse zu fassen und dabei den bequemen Status Quo und vor allem die bekannten Gewohnheiten infrage zu stellen. Und um den Bogen zurück zur Visitenkarte zu spannen, betrifft die Vorstellung von Zukunft und die damit verbundenen Vorhaben Unternehmen genauso wie dich oder mich.

 

Du bist Tischler in dritter Generation und hast dich auch mit deinem Studium der Holztechnik an der TH in Lemgo dem Werkstoff Holz verschrieben. Warum?

 

Mein Weg zum Holz war relativ unspektakulär und trotz des Tischler-Seins von Großvater und Onkel in keiner besonderen Weise vorgezeichnet. Durch das Abitur in einem künstlerischen Umfeld und dem Interesse am kreativen Arbeiten stand eigentlich immer die Überlegung im Raum Fotografie oder Design zu studieren – doch dann hatte erstmal der Wehrdienst gerufen. Diese Zeit war sehr spannend, da ich als Kraftfahrer mit vielen Personen aus unterschiedlichen Bereichen in Kontakt kam. Das hat mich zum Nachdenken angeregt. In meinem Bekannten- und Freundeskreis gab es damals ein paar Personen aus künstlerischen Bereichen, die viele großartige Ideen hatten. Aus diesen Ideen ist häufig aus unterschiedlichen Gründen nicht wirklich etwas geworden. Diese „Beobachtung“ hat mich stark in Bezug auf mein berufliches Dasein beschäftigt. Mein Großvater gab mir damals die Empfehlung erstmal eine Ausbildung zum Tischler zu machen, mit den Worten: „Lern doch erstmal etwas solides, Handwerk hat immerhin goldenen Boden.“

 

 

Was ich an diesem Gedanken spannend fand war, dass die Ausbildung mir im Umgang mit meinen Ideen weiterhelfen würde. Und letztlich war das genau der richtige Weg. Ich konnte ein Handwerk erlernen, habe Holz als einen spannenden Werkstoff sowie das Arbeiten mit Holz als etwas sehr Erfüllendes kennengelernt. Durch die Ausbildung in einem kleinen Betrieb war es möglich Einblicke in die unterschiedlichsten Bereiche des Tischler-Seins zu bekommen. Da ich jedoch mehr ein „Kopfmensch“ bin, was ich auch erst so richtig während der Ausbildung gemerkt habe, wollte ich noch immer studieren gehen und so führte der Weg dann weiter zur Holztechnik nach Lemgo. Das Studium der Holztechnik war ebenfalls sehr spannend, da mir aufgrund des produktionstechnischen Hintergrunds Einblicke in viele unterschiedliche Bereiche möglich wurden, was mich dann wiederum weiter zum Wirtschaftsingenieurwesen geführt hat. Lange Rede, kurzer Sinn: Jetzt bin ich in einem Tätigkeitsfeld gelandet indem sich Technik, Wirtschaft und Gestaltung gegenseitig die Hand reichen. Und die Freude am Arbeiten mit Holz ist auch beständig geblieben.

 

Während deines Studiums hast du verschiedene gemeinnützige Projekte ins Leben gerufen. Was ist dein Antrieb?

 

Ich beobachte, dass es vielen Studenten wichtig ist, schnell mit dem Studium fertig zu werden. Dabei nach Möglichkeit ein Minimalprogramm zu absolvieren, um schnell in das Berufsleben einzusteigen – mit der Annahme bereits zu Beginn sehr gutes Geld verdienen zu können. Das hat auch seine Berechtigung, da Studieren selbst mit Kosten verbunden ist, dennoch glaube ich, dass so viele spannende Erfahrungen und die Persönlichkeit prägende Eindrücke verpasst werden. Bestimmte „Sinnfragen“ werden so nicht schon im Studium gestellt, sondern erst viel später im Berufsleben, was zu persönlichen Sinnkrisen führen kann. Daher glaube ich, dass Projektarbeit und die Teilnahme an Projekten, zum Beispiel außerhalb der eigentlichen Lehre, einem enormen Mehrwert darstellen und dabei helfen, die persönliche Orientierung zu schärfen.

Zumindest war dies bei mir der Fall und letztlich sind eigentlich fast alle Bereiche meines gegenwärtigen Lebens – die berufliche Situation, akademische und persönliche Ziele, der Interessenhorizont, soziales Umfeld – überwiegend auf die Projektarbeit der vergangenen Jahre zurückzuführen. Selbst ins Leben gerufen habe ich nur das Projekt „Spendenschwein“, an allen anderen Projekten habe ich mitgewirkt. Das hat dazu geführt, dass mein Antrieb mittlerweile im Grunde darin besteht, Angebote zu schaffen, bei denen Personen ähnliche Erfahrungen sammeln können, wie ich sie damals für mich gesammelt habe. Es ist schön zu beobachten, wenn Studierende oder Schüler, durch ein Projekt vielleicht sogar den Weg in die weite Welt finden und dort prägendere Eindrücke und Erkenntnisse sammeln. Im besten Fall werden diese Eindrücke reflektiert und in die persönliche Weltanschauung eingeordnet, das prägt wiederum ein Bewusstsein, das in meiner Vorstellung in einem hohen Maß an Aspekte wie Verantwortungsgefühl, Solidarität oder auch Gemeinnützigkeit anknüpft.

 

Wann entstand die Idee zum Spendenschwein? Gab es einen Impuls?

 

Die Idee zum Spendenschwein ist Ende 2015/Anfang 2016 entstanden. Ich hatte gerade mein Bachelor-Studium begonnen, als mich ein paar Freunde, damals Design- und Architektur-Studenten an der Hochschule in Dessau, fragten, ob ich nicht Lust hätte, bei einem Projekt mitzumachen. Bei dem Projekt ging es darum, in Eigenregie ein Schulgebäude in Thailand zu planen und vor Ort zu bauen. Die Idee fand ich zwar sofort cool, konnte mich aber damals nicht mit dem Gedanken anfreunden, das Studium noch nicht richtig angefangen zu haben und schon für mehrere Monate ins Ausland zu gehen. Dennoch wollte ich gerne meine Freunde unterstützen und hatte überlegt, welchen Beitrag ich sonst dazu leisten könnte. Vor Ort konnte ich nicht helfen und Geld konnte ich leider auch nicht zur Verfügung stellen. So entstand der Gedanke, dass ich ja dennoch etwas Zeit aufbringen und etwas aus Holz herstellen könnte. Über den Verkauf würde ich Gelder für das Schulprojekt sammeln. Auf der Suche nach einem geeigneten Produkt, ist mir dann beim Frühstück am WG-Tisch eines der Schweinchen-Schneidebretter meines Großvaters ins Auge gefallen. Daraus entstand die Idee zum Spendenschwein.

 

 

Du beschreibst dich als Ideenfinder und Problemlöser. Was steckt dahinter & welche Vision verfolgst du?

 

Eigentlich kommen da nur zwei Aspekte zusammen, die sich gegenseitig bedingen. Zum einen trage ich schon immer viele Ideen mit mir herum und es fällt mir häufig leicht Ideen zu bestimmten Gegebenheiten hervorzubringen. Da ich in den vergangenen Jahren an vielen unterschiedlichen Orten gelebt und dabei viele Menschen kennengelernt habe, hat dies zum anderen dazu geführt, dass ich mittlerweile für fast jedes Problem mindestens einen fachkundigen Ansprechpartner parat habe. Eine konkrete Vision gibt es dabei jedoch nicht, aber den Vorteil, dass die Bezeichnung als „Ideenfinder und Problemlöser“ keinen bestimmten Rahmen festlegt und sich dadurch hoffentlich weiterhin spannende Situationen und Begegnungen ergeben.

 

Was sind deine Pläne für 2021?

 

2021 wird spannend und auf der To-Do-Liste stehen einige Dinge. Zum einen befinde ich mich aktuell mit Mitstreitern in der Gründung eines Vereins zur Förderung von Projektarbeit. Zum anderen plane ich die letzten Bausteine des Master-Studiums abzuschließen und zusammen mit Partnern weitere Grundsteine für das zukünftige unternehmerische Dasein zu legen; dabei vor allem die Beratungsleistungen in Themenfeldern wie Entrepreneurship, Management, Innovationen und Produktentwicklung wissenschaftlich weiter zu vertiefen. Wenn dann noch Zeit bleibt, habe ich mir vorgenommen, ein Buchprojekt zu beginnen, zu dem ich seit längerem Gedanken mit mir herumtrage. Als erstes werde ich in diesem Jahr jedoch zusammen mit einem Freund das Tiny House vollenden, was wir im letzten Jahr angefangen haben zu bauen.

 

 

 

Ghana, Chile, Indien: Du reist viel und gerne! Was macht das Reisen für dich so besonders und was war das bisher schönste Erlebnis?

 

Meine erste größere Reise, war 2012 ein vierwöchiger Interrail-Trip von Deutschland, über Frankreich, Spanien bis nach Marokko und zurück. Kurze Zeit nach dem Abitur und mit etwas Geld aus der Zeit bei der Bundeswehr in der Tasche, hatte ich damals in gewisser Weise das erste Mal das Gefühl von „Freiheit und die große, weite Welt sehen“.

Diese Zeit war so aufregend, so vielseitig und inspirierend, dass sich damals das Bedürfnis nach „Ich möchte gerne mehr von der Welt sehen“ ausgeprägt hatte. Während der Ausbildung durfte ich für vier Wochen in einer Tischlerei in Finnland arbeiten und während des Studiums folgten die Projekte in Ghana und Chile sowie die Zeit in Indien. Das Besondere am Reisen ist für mich noch immer zum einen das Unerwartete, nicht immer über alles Entscheidung und Kontrolle zu haben, und zum anderen die kulturelle Vielfalt, beziehungsweise zu sehen, wie das Leben in anderen Kulturen/anderen Länder stattfindet. So könnte ich zum Beispiel einfach tagelang an einem belebten Ort sitzen, Tee trinken und die Menschen beim Leben beobachten.

Eines meiner schönsten Erlebnisse stammt aus Ghana, als ein Freund und ich in Kumasi in einem Tro-Tro mitgefahren sind. Es war eine typische „Wir stehen im Feierabendstau und nichts bewegt sich“-Situation, es war unglaublich schwül-warm und auf den Straßen liefen Verkäuferinnen zwischen den Autos umher und versuchten Wasserbeutel, Snacks, Schokolade, Brot oder andere Dinge an die wartenden Personen zu verkaufen. Mein Freund kaufte sich etwas Schokolade und wurde dabei von einem zwei oder drei Jahre alten Jungen, der mit seiner sehr jungen Mutter vor uns saß, beobachtet. Daraufhin gab er dem Jungen ein Stück Schokolade, dessen Freude über die Schokolade sehr groß war. Von seiner Mutter erntete er dafür einen bösen Blick, über die Geste war sie jedoch sehr erfreut und schenkte uns ein sympathisches Lächeln. Kurze darauf lief im Radio ein Lied von „Davido“ (der ein absoluter Mega-Star in Ghana ist). Die junge Mutter fing an das Lied mitzusingen, ein weiterer junger Mann schloss sich an. Das ist eines meiner schönsten Erlebnisse: Wir standen immer noch in Kumasi im Stau, es war immer noch sehr schwül-warm, wir hatten die Sonnenstrahlen der untergehenden Sonne genossen und hörten begeistert dem Gesang im Tro-Tro zu.

 

 

Welche Destination steht auf deiner Liste ganz oben? Wohin möchtest du unbedingt einmal reisen?

 

Wenn ich ehrlich bin gibt es bei mir keine Liste der nächsten Destinationen. Bisher habe ich immer geschaut, welche Möglichkeiten sich für mich ergeben und versucht diese Optionen wahrzunehmen. Dafür ist ein Studium optimal, denn einfacher lassen sich Auslandsaufenthalte nicht mit einem tiefen Sinn versehen und auch finanzieren – seien es Projekte, Auslandsemester oder Praktika in Unternehmen im Ausland.

Da meine Zeit in Indien leider aufgrund der Covid-Situation ein ungeplantes Ende gefunden hat und dort eigentlich ein paar spannende Projekte auf mich warten, wäre Indien wieder mein nächstes Ziel. Vor einer Zeit wurde ich auf den Architekten „Bjarke Ingels“ aufmerksam. Ich empfinde seine Arbeiten als sehr inspirierend. Eventuell ergibt sich bei nächster Gelegenheit ein Ein-Wochen-Trip nach Kopenhagen.

 

echtwert ist ein Ort für inspirierenden Austausch. Wer hat dich zuletzt inspiriert? Und womit?

 

Aktuell finden ja eher weniger Begegnungen statt, aber wenn es um Inspirationen aus dem echtwert-Umfeld geht, dann waren es Thorsten Rosenstengel und immi Fallner. Mit Thorsten zusammen kam die Idee auf, sich im Rahmen eines Moduls für Studierende der Holztechnik mit einer Produktentwicklung zu einem spannenden Thema auseinanderzusetzen. Und immi hatte mich zuletzt mal wieder mit unternehmerischen Gedanken inspiriert.

Ansonsten lasse ich mich gerne durch den Alltag und das Umgebensein von Menschen inspirieren. Daher finde ich Zugfahren eigentlich sehr spannend oder die Dynamik in Großstädten. Immer, wenn viele Menschen aufeinandertreffen, lassen sich, wie ich finde, durch Aufmerksamkeit und bewusstes Wahrnehmen viele interessante Anknüpfpunkte für Ideen finden.

 

echtwert entstand und lebt durch ein Netzwerk von Designern, Produzenten, Künstlern, Kreativen. Was macht für dich die Zusammenarbeit so wertvoll?

 

Ich glaube, bei echtwert passiert etwas Spannendes, was zum Beispiel in vielen Unternehmen angestrebt wird, sich aber selten nachhaltig bewahrheitet: Dadurch, dass Personen aus so vielen unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen und Schwerpunkten ohne bestimmte Zwänge zusammenkommen, entsteht ein sehr vielseitiger und kaum gefilterter Austausch, der wiederum spannende Eindrücke für jede dieser Personen mit sich bringt.

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